Ich stehe im Supermarkt vor farblosem Wasser, das laut Etikett unglaublich lecker nach roten Früchten schmeckt und werde das Gefühl nicht los, dass da irgendetwas nicht stimmen kann. Schon klar, gerade ich als Chemikerin weiß ja eigentlich, dass Geschmack nichts mit Farbe zu tun hat. Trotzdem, ich kann nicht anders. Und allerspätestens bei der Portion Pommes mit grünem Ketchup wird wohl jedem klar, welchen Einfluss die Farben unserer Lebensmittel auf unseren Appetit haben. Grund genug, diesem Thema ein kleines Kapitel in meinen süßen Wissenschaften zu widmen.
Gelb schmeckt nach Zitrone. Orange schmeckt nach - wer hätte das gedacht - Orange. Ein kräftiges Rot? Klare Sache! Erdbeere. Oder etwa nicht? Die Wissenschaft ist sich in der Frage, ob die Farbintensität von Lebensmitteln die Intensität des von uns wahrgenommenen Geschmacks beeinflusst noch nicht so ganz einig. Manche Studien sagen ja, manche sagen nein und manche sagen es sei kompliziert.
Klar scheint dagegen jedoch, dass die Farbe nicht nur beeinflusst, welche Sorte von Geschmack wir erwarten, sondern sogar auch, welche wir überhaupt glauben wahrzunehmen.1 Oder um es in den Worten von Lavin und Lawless zu sagen:
"The literature on the effects of color on taste and flavor judgments
is consistent in its inconsistency"
Ein Beispiel. In einer Studie von DuBose et al. (J Food Sci 45,1393–1399) wurden mehreren Probanden 16 verschiedene Getränke mit verschiedenen Geschmacksrichtungen (Kirsche, Limette, Orange, Neutral) und unterschiedlichen Farben (Rot, Grün, Orange, Farblos) vorgesetzt. Dabei galt es, den Geschmack richtig zu identifizieren. Ein rotes Getränk mit Kirschgeschmack konnten 70 % der Probanden richtig einordnen. War das gleiche Getränk dagegen grün eingefärbt, sank die Trefferquote auf 37 % und 26 % der Tester berichteten, dass es nach Limette geschmeckt habe.
Oder nehmen wir die allseits beliebten Gummibärchen. Wer war bei einem kurzen Blick auf die Packungsrückseite nicht überrascht, dass ja gar nicht die roten Bärchen nach Erdbeere schmecken sollten, sondern die grünen? Genau aus diesem Grund waren sicher viele, mich eingeschlossen, überrascht, als sie beim Genuss der allseits beliebten Gummibärchen feststellen mussten, dass laut Packungsrückseite ja gar nicht die roten Bärchen nach Erdbeere schmecken, sondern die grünen. Zumindest war das früher so. Inzwischen hat sich das geändert: hellrote Bärchen schmecken nach Himbeere, dunkelrote nach Erdbeere und grüne nach Apfel. Die Welt ist also wieder in Ordnung.
Was ich damit sagen will? Das Sprichwort "Das Auge isst mit" kommt nicht von ungefähr. Das Aussehen, also auch die Farben unserer Lebensmittel, sind (uns) wichtig. Kein Wunder, denn sie liefern ja auch wertvolle Informationen! Früchte zum Beispiel durchlaufen während ihres Reifeprozesses einen großen Bereich des Farbspektrums, von grün über gelb bis hin zu rot und signalisieren damit ziemlich deutlich wann sie reif und genießbar sind und wann nicht.
Nicht ohne Grund läuft uns beim Anblick von grünen Kirschen nicht gerade das Wasser im Mund zusammen. Genau so wenig wie bei grün schillerndem Brot (urgh). Die Wirkung und der Einfluss von Farben auf uns und unsere Ernährung ist ein (ziemlich dickes) Kapitel für sich aber alles in Allem ist es sicher nicht verwunderlich, dass Lebensmittel so produziert werden, dass sie möglichst appetitlich und attraktiv wirken. Und das eben nicht zuletzt mit Hilfe von Farben.
Ein Farbstoff gibt Stoffen Farbe. Schon klar. Aber wie eigentlich? Keine Sorge, ich möchte an dieser Stelle nicht mit Stäbchen, Zapfen und elektromagnetischen Wellen anfangen. Naja, nur ein ganz kleines bisschen.
Wenn wir von sichtbarem Licht sprechen, meinen wir damit den ziemlich kleinen Bereich des gesamten elektromagnetischen Spektrums, den unser Auge wahrnehmen kann. Dieser Bereich erstreckt sich von knapp 400 bis 720 nm und beinhaltet die sieben Spektralfarben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett. Tageslicht besteht aus mehr oder weniger gleichen Teilen all dieser Farben und erscheint damit für uns weiß.
Wenn eine Substanz bestimmte Wellenlängen des für uns sichtbaren Spektrums absorbiert, sehen wir nur noch das zurückbleibende Restlicht, also eine Mischung aus den Komplementärfarben der absorbierten Bereiche. Die Substanz erscheint farbig. Das Spektrum unten soll das Ganze etwas deutlicher machen. Der beispielhafte Farbstoff absorbiert die blaugrünen Bereiche des Lichts am stärksten. Was wir sehen ist also die Komplementärfarbe von Blaugrün: Rot.
Farbstoffe besitzen demnach ein oder mehrere funktionelle Gruppen, die Licht ganz bestimmter Wellenlängen absorbieren und ihnen damit ihre charakteristische Farbe verleihen. Nehmen wir als Beispiel die mit Abstand wichtigste Klasse synthetischer Färbemittel: die Azofarbstoffe.
Wie der Name schon sagt, besitzen diese Farbstoffe eine Azogruppe (R'-N=N-R''), die für gewöhnlich aromatische Ringsysteme miteinander verbindet. Verschiedene Reste (R) erzeugen dabei bestimmte Farben und es kann synthetisiert werden was das (Chemiker-) Herz begehrt.2
Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen natürlichen, also in der Natur vorkommenden, und synthetischen, also künstlich hergestellten Lebensmittelfarben. Mit dem Begriff künstlich assoziieren wir vor allem im Zusammenhang mit Lebensmitteln nur selten etwas Positives. Wenn uns der Satz "Das sieht aber künstlich aus!" über die Lippen kommt, ist das so gut wie nie als Lob gemeint. Nein, wir mögen es lieber natürlich. Schon 1975 machte Ben F. Feingold künstliche Farb- und Aromastoffe in Lebensmitteln unter anderem für Lernbehinderungen bei Kindern verantwortlich.3
Einige Zeit und eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien später müssen Produkte, die bestimmte künstlich hergestellte Lebensmittelfarben beinhalten, mit dem kleinen aber pikanten Zusatz "Kann sich nachteilig auf die Aktivität und Aufmerksamkeit von Kindern auswirken" versehen werden. Nicht besonders appetitlich, oder? Und dennoch: Die hohe Stabilität, die ansprechenden kräftigen Farben und der niedrige Preis sorgen unter anderem dafür, dass diese Farben trotz der Nachteile noch immer eingesetzt werden.
Das bunte Erscheinungsbild von Pflanzen, Blüten, Obst, Gemüse und Co wird hauptsächlich von vier verschiedenen Pigmentklassen geprägt: Chlorophylle färben Grünkohl, Spinat, Petersilie und Co grün. Die sehr weit verbreiteten roten, blauen oder violetten Anthocyane sorgen unter anderem für das appetitliche Äußere von Brombeere, Himbeere und Holunderbeere. Wer schon einmal Rote Beete gegessen hat, kennt die purpurroten Betacyane, die zusammen mit den gelben Betaxanthinen zu der Gruppe der Betalaine gehören. Und zu guter Letzt wären da noch die gelb-orange-roten Carotinoide, unter anderem zu finden in Karotten, Aprikosen oder Tomaten.
Das Interesse für diese natürlichen Farbstoffe steigt. Zum einen wegen des schlechten Rufs der künstlichen Kolorite und zum anderen, weil wir immer mehr Wert darauf legen, uns bewusst und gesund zu ernähren. Die oben genannten Pigmente bringen aber lebensmitteltechnologisch ein paar Nachteile mit sich, denn sie sind für gewöhnlich weniger stabil, nicht so farbintensiv, weisen weniger Farbschattierungen auf und sind schlussendlich auch teurer als die synthetischen Pigmente.4
Manche natürliche Farbstoffe, wie zum Beispiel Carotine, werden übrigens vor allem mit Hilfe gentechnisch veränderter Bakterien produziert. Die isolierten und gereinigten Pigmente müssen in Lebensmitteln, von der zugehörigen E-Nummer mal abgesehen, nicht zusätzlich gekennzeichnet werden.
Damit Farben in Lebensmitteln eingesetzt werden können und dürfen, müssen sie einige bestimmte Anforderungen erfüllen. Zuerst einmal dürfen sie natürlich nicht gesundheitsschädlich sein. Dabei macht, wie immer, auch die Menge das Gift. Seitens der EU ist genau vorgegeben, welche Höchstmenge eines bestimmten Lebensmittelzusatzstoffes einem bestimmtem Lebensmittel zugesetzt werden darf.5
Der ADI-Wert (von engl. acceptable daily intake) beschreibt außerdem die erlaubte Tagesdosis in Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Darüber hinaus sollten die verfügbaren Farbstoffe ein breites Farbspektrum abdecken, eine hohe (Licht-)Stabilität aufweisen, ihre Farbe in einem breiten pH-Bereich beibehalten und, natürlich, preiswert sein. Nicht so ganz einfach also.
Wenn Lebensmittelzusatzstoffe in der EU als solche zugelassen werden, bekommen sie eine E-Nummer. Dafür müssen sie nachgewiesenermaßen gesundheitlich unbedenklich sowie technologisch notwendig sein und dürfen im Rahmen der Anwendung nicht zu einer Täuschung der Verbraucher führen. Na gut, da könnte man jetzt argumentieren, dass zugesetzte Farben das doch eigentlich immer tun, oder etwa nicht?
Laut der Europäischen Kommission ist es aber in Ordnung, einem Lebensmittel seine "natürliche" Farbe wieder zurückzugeben, wenn diese bei der Verarbeitung verloren ging. Eine Täuschung liegt beispielsweise dann vor, wenn ein Inhaltsstoff farblich nachgeahmt wird, der überhaupt nicht im Produkt enthalten ist.6 Zudem gelten für alle Lebensmittelzusatzstoffe EU-weite genau festgelegte Reinheitsanforderungen. Für all das und mehr ist die EFSA, die European Food Safety Authoritiy, zuständig. Alles zu diesem Thema findest du hier.
E-Nummer | Bezeichnung (Farbe) | Synthetisch oder natürlich? |
ADI-Wert*7, 8 |
Bekommt man wo? |
E 90 | Kurkumin (gelb) | natürlich | n. a.** |
Apotheke (Pulver) |
E 101 | Riboflavine (gelb) | natürlich (Vitamin B2) | n. a. |
Apotheke |
E 102 | Tartrazin (gelb) | synthetisch (Azofarbstoff) | 7.5 | |
E 104 | Chinolingelb | synthetisch (Azofarbstoff) | 0,5 | |
E 80 | Gelborange S | synthetisch (Azofarbstoff) | 1,0 | |
E 120 | Echtes Karmin (rot) | natürlich (aus Läusen) | 5,0 | |
E 122 | Azorubin (rot) | synthetisch (Azofarbstoff) | 4,0 | |
E 123 | Amaranth (rot) | synthetisch (Azofarbstoff) | 0,8 | |
E 124 | Cochenillerot (rot) | synthetisch (Azofarbstoff) | 0,7 | |
E 127 | Erythrosin (rot) | synthetisch | 0,1 | |
E 129 | Alluratot (rot) | synthetisch (Azofarbstoff) | 7,0 | |
E 131 | Patentblau V | synthetisch (Azofarbstoff) | 15,0 | |
E 132 |
Indigotin, Indigokarmin (blau) |
synthetisch | 5,0 | |
E 133 | Brilliantblau | synthetisch | 10,0 | |
E 140 | Chlorophylle (grün) | natürlich | n. a. | Apotheke (Pulver) |
E 141 | Kupferkomplexe der Chlorophylle (grün) | natürlich | 15,0 | |
E 142 | Grün S | synthetisch | 5,0 | |
E 150 a | Zuckerkulör (schwarzbraun) | aus Zucker und Zusatzstoffen | n. a. | |
E 150 b | Sulfitlaugen-Zuckerkulör | aus Zucker und Zusatzstoffen | 200 | |
E 150 c | Ammoniak-Zuckerkulör | aus Zucker und Zusatzstoffen | 200 | |
E 150 d | Ammonsulfit-Zuckerkulör | aus Zucker und Zusatzstoffen | 200 | |
E 151 | Brilliantschwarz | synthetisch (Azofarbstoff) | 5,0 | |
E 153 | Pflanzenkohle (schwarz) | natürlich | n. a. | Apotheke (Pulver) |
E 154 | Braun FK | synthetisch (Azofarbstoff) | 0,15 | |
E 155 | Braun HT | synthetisch (Azofarbstoff) | 3,0 | |
E 160 a | Carotin (orange) | natürlich oder naturidentisch | n. a. | |
E 160 b | Annatto (gelborange) | natürlich | 0,07 | |
E 160 c | Paprikaextrakt (orangerot) | natürlich | n. a. | |
E 160 d | Lycopin (rot) | natürlich | n. a. | |
E 160 e |
Beta-apo-8′-Carotinal (orangerot) |
naturidentisch |
5,0 | |
E 161 b |
Lutein (gelb) |
natürlich |
n. a. | |
E 161 g |
Canthaxanthin (orangerot) |
naturidentisch |
0,03 | |
E 162 | Betanin (rotviolett) | natürlich | n. a. | |
E 163 |
Anthocyane (rot-blau-violett) |
natürlich | n. a. | |
E 170 | Calciumcarbonat (weiß) | Kalk | n. a. | Apotheke (Pulver) |
E 171 | Titandioxid (weiß) | anorganisch | n. a. | Apotheke (Pulver) |
E 172 |
Eisenoxide, Eisenhydroxide (rot) |
anorganisch | n. a. | Apotheke (Pulver) |
E 173 | Aluminium | Metall | n. a. | |
E 174 | Silber | Metall | n. a. | |
E 175 | Gold | Metall | n. a. | |
E 180 | Litholrubin (rot) | synthetisch (Azofarbstoff) | 1,5 |
* in mg/kg Körpergewicht pro Tag
** n.a. steht für "nicht angegeben". Der Ausdruck bedeutet, dass die verügbaren Untersuchungsdaten darauf schließen lassen, dass die Menge, die von diesem Farbstoff üblicherweise eingesetzt wird, keine gesundheitliche Gefährdung darstellt.7
[1] Spence, C., Levitan, C. A., Shankar M. U., Zampini, M. (2010) Does Food Color Influence Taste and Flavor Perception in Humans? Chem. Percept. 3, 68–84.
[2] Christie, R. M. (2014) Colour Chemistry. 2nd Edition, Royal Society of Chemistry.
[3] Feingold, B.F. (1975) Hyperkinesis and Learning Disabilities Linked to Artificial Food Flavors and Colors. Am. J. Nurs. 75, 797-803.
[4] Rodriguez-Amaya, D. B. (2016) Natural food pigments and colorants. Curr. Opin. Food Sci. 7, 20-26.
[5] Verordnung (EU) Nr. 1129/2011 vom 11. November 2011
[6] Pressemitteilung der Europäischen Kommission MEMO 11/783 vom 14. November 2011
Eberhard Schwarzer, Hildesheim (Freitag, 01 Juli 2016 22:21)
Der Essay über Lebensmittelfarben lässt das Spinatgrün gar nicht mehr so ekelig erscheinen. Auch eine sehr schöne informative Abhandlung!