Sind Kühlschranktorten nicht etwas Geniales? Schnell ein paar Kekse zerdrücken, mit weicher Butter vermischen, in einer Springform verteilen und fertig ist der Boden. Jetzt nur noch Quark, Joghurt, Milch und Co. verrühren, auf dem Keksboden verteilen und ab in den Kühlschrank damit. Doch Moment! Das Wichtigste habe ich natürlich vergessen! Damit die Torte nach dem Öffnen der Springform nicht unschön auseinanderläuft und sich in tellergerechte Portionen zerschneiden lässt, braucht es natürlich Geliermittel – die geheimen (und wahren) Stars der Kühlschranktorten.
Aber welches nimmt man am besten? Das tierische Allroundtalent Gelatine? Oder doch lieber die rein pflanzliche Alternative Agar-Agar? Was sind überhaupt die Unterschiede zwischen den beiden? Wie werden sie hergestellt und wie funktionieren sie? Hier ist eine kurze Übersicht.
Um das herauszufinden, werfen wir zunächst einen Blick auf unseren eigenen Körper. Unsere Sehnen, Knorpel, Knochen und unser Bindegewebe verdanken ihre Festigkeit einem ganz besonderen Protein – dem Kollagen.
Dieses Eiweiß hat eine einzigartige Struktur: Etwa 1 000 in einer ganz bestimmten Reihenfolge angeordnete Aminosäuren bilden eine sogenannte α-Kette. Drei dieser α-Ketten lagern sich zu einer dicht verdrillten Dreifachhelix zusammen, und unzählige dieser Dreifachhelices wiederum bilden quervernetzte Fibrillen und Fasern. Und die halten so einiges aus; ihre Zugfestigkeit ist sogar höher als die eines Stacheldrahtes gleichen Durchmessers!
Was das Ganze nun mit Gelatine zu tun hat? Die ist im Grunde nichts anderes als das oben beschriebene Kollagen, das durch verschiedene Verfahren aus den Häuten, Sehnen oder Knochen von Tieren gewonnen wird. Dabei werden sowohl die Fibrillen als auch die Dreifachhelices durch den Einsatz von Enzymen, Säuren oder Laugen mehr oder weniger vollständig aufgespalten. Das Resultat sind kleine, in warmem Wasser lösliche Bruchstücke des Kollagens.
Wird eine warme Gelatinelösung abgekühlt, lagern sich die zuvor gelösten Aminosäureketten wieder zusammen und bilden dabei ein dreidimensionales Netzwerk. In dieses können flüssige Komponenten wie Wasser, Milch oder Quark eingeschlossen und dadurch an Ort und Stelle gehalten werden – es entsteht ein Gel.
Ein Gel aus Gelatine wird von vergleichsweise schwachen Wechselwirkungen zusammengehalten. Dadurch ist das Gelieren umkehrbar: Eine leichte Temperaturerhöhung genügt und das Gel schmilzt wieder. Zum Glück, muss man ganz eindeutig sagen! Denn bereits unsere Körpertemperatur lässt die Gelatine in Fruchtgummi schmelzen, wodurch Bärchen und Co. wunderbar auf der Zunge zergehen.
Aber Achtung! Erhitzt man Gelatine zu stark, zerfällt sie und verliert ihre gelbildenden Eigenschaften.
Zudem hat Gelatine einen sehr geringen Eigengeschmack, ist fast farblos, einfach anzuwenden, benötigt zur erfolgreichen Gelbildung keine Zusatzstoffe wie Salz, Zucker oder Säure und ist – ganz wichtig! – sehr preiswert.
Auch das Allestalent Gelatine hat Nachteile: Sogar für manch eingefleischten Fleischesser ist der Gedanke an ausgekochte Schlachtabfälle nicht gerade appetitlich. Da muss ich von Vegetariern oder Veganern gar nicht erst anfangen. Ganz zu schweigen von den Menschen, die aus religiösen Gründen auf Lebensmittel verzichten, die nicht halal oder koscher zubereitet worden sind.
Agar-Agar ist ein rein pflanzliches Geliermittel, das es durchaus mit der altbewährten Gelatine aufnehmen kann. Im Gegensatz zu Gelatine, einem Eiweiß, ist Agar-Agar ein komplex zusammengesetzter Vielfachzucker. Dieser wird aus verschiedenen Rotalgenarten gewonnen, in deren Zellwänden er natürlich vorkommt.
Die genaue Zusammensetzung von Agar-Agar schwankt zwar je nach Algenart, Jahreszeit und den während des Wachstums der Pflanzen verfügbaren Nährstoffen, ganz allgemein bilden jedoch die Vielfachzucker Agarose und Agaropektin die Hauptbestandteile von Agar-Agar.
Obwohl Agar-Agar aus verschiedenen Vielfachzuckern besteht, ist ausschließlich die enthaltene Agarose für die Gelbildung verantwortlich. Sie bildet ein dreidimensionales Netzwerk aus aufgewundenen Strängen, in die Flüssigkeiten eingelagert werden können. Aus Agar-Agar isolierte Agarose wird aufgrund der guten Gelierfähigkeit in vielen Bereichen wie zum Beispiel in der Biotechnologie eingesetzt.
Der Gelierprozess von Agar-Agar ist, zumindest bei neutralem pH-Wert, durch eine Erhöhung der Temperatur umkehrbar. Besonders interessant ist dabei der Unterschied zwischen der Gelbildungs- und der Schmelztemperatur: Obwohl Agar-Agar bei knapp 40 °C fest wird, schmilzt es erst bei 85–95 °C wieder. Verblüffend, oder?
Diese Eigenschaft findet zum Beispiel bei der Herstellung des japanischen Desserts Mitsumame Anwendung: Der Nachtisch besteht aus kleinen süßen Agar-Agar-Würfeln, die mit Sirup zu Obstsalat gegessen und unter anderem in Dosen verkauft werden. Durch die sogenannte Gelhysterese ist es möglich, die Dosen bei hohen Temperaturen zu sterilisieren, ohne dass die Agar-Würfel darin schmelzen.
Gelatine mag zwar ein Allroundtalent sein, Agar-Agar kann ihr jedoch in vielen Bereichen durchaus das Wasser reichen: Sie ist ebenfalls preiswert, fast geschmacksneutral, benötigt für die vollkommen umkehrbare Gelbildung keinerlei Zusätze wie Salz, Zucker oder dergleichen und geliert schon ab einer so geringen Konzentration wie 1 %.
Ein paar Kleinigkeiten muss man für den erfolgreichen Einsatz von Agar-Agar durchaus beachten: Wie gut die Gelbildung funktioniert, ist pH-Wert abhängig. Also davon, wie sauer oder wie basisch die zu gelierenden Flüssigkeiten sind. Bei besonders saureren Zubereitungen, wie zum Beispiel bei meinen Zitronentörtchen, muss für die gleiche Gelstärke mehr Agar-Agar zugegeben werden.
Noch dazu sind Gele aus Agar-Agar trüb, lassen sich aber durch Zugabe von Zucker aufklaren. Aus diesem Grund wird dem im Handel erhältlichen vegetarischen Geliermittel übrigens meist eine kleine Menge Zucker wie Maltodextrin zugesetzt.
Der Artikel hat die gefallen? Ausführliche Infos zu Gelatine,
Agar-Agar und ähnlichen Themen gibt es in meinem Buch :)
Oder hast du noch Fragen? Ich freue mich über einen Kommentar!
Nikola (Studie in Süß) (Dienstag, 24 März 2020)
Liebe Sandra, das freut mich! Vielen Dank für dein Lob :)
Sandra (Dienstag, 24 März 2020 07:36)
Der Beitrag hat mir sehr geholfen, da ich als Vegetarier immer nach etwas ausschau gehalten habe, dass man als pflanzliches geliermittel benutzen kann. Vielen Dank!
Nikola (Studie in Süß) (Donnerstag, 17 Mai 2018 16:25)
Hallo liebe Birgit,
vielen Dank für deinen Kommentar und deine Anmerkung bezüglich des Preises von Agar-Agar :)
In meinem Text ging es mir vor allem um die allgemeine Preisklasse der beiden Geliermittel. Um 1,5 Liter Flüssigkeit mit Agar-Agar zu gelieren, muss man einen knappen Euro auf den Tisch legen (Marke Ruf). Gelatine von der gleichen Marke, ausreichend für die gleiche Menge Flüssigkeit, kostet dagegen nur knappe 70 Cent. Gelatine ist damit günstiger, da hast du vollkommen Recht! Die generelle Preisklasse ist für mich jedoch dieselbe - ich würde beide Geliermittel als preiswert bezeichnen.
Für die gewinnorientierte Industrie ist der Unterschied aber natürlich ein Grund, zur billigeren (ich möchte fast sagen "noch billigeren") Gelatine zu greifen.
Falls du noch weitere Fragen oder Anmerkungen hast, gerne her damit :)
Viele Grüße, Nikola
Birgit (Montag, 14 Mai 2018 02:48)
Hallo Nikola,
auf der Suche, wie man Agar verarbeitet, bin ich hier gelandet. Die Erklärungen über Gewinnung und Wirkprinzip find ich gut. Und zu meckern ;-) hab ich auch was. Da ich im Moment eben wegen dieser beiden rumstöber, bin ich darüber gestolpert, daß Agar und Gelatine gleich preiswert wären. Bei allen Anbietern, die sowohl Agar als auch Gelatine im Angebot haben, ist Agar ca doppelt so teuer und selbst Wiki schreibt, daß Agar wegen seines hohen Preises in der Industrie selten eingesetzt wird.
Natürlich ist' auch möglich, daß ichdie entsprechende Passage bei den Vorteilen von Agar, mißinterpetiert habe.
Viel Erfolg mit dem Buch
freundliche grüße
birgit